Im Jubiläumsjahr 2012 feiert die Jungfraubahn ihren 100. Geburtstag. Noch heute gilt die höchstgelegene Bergbahn Europas als Weltwunder der Eisenbahntechnik und zieht jährlich Hunderttausende von Besuchern aus aller Welt an. Doch wie kam es dazu, dass ein solches Projekt mit den damaligen einfachen Mitteln realisiert werden konnte?
Kühne Gipfelstürmer
Nachdem 1868/69 die erste Zahnradbahn der Welt auf den Mount Washington im US-Staat New Hampshire eröffnet wurde und 1871 die Vitznau-Rigi-Bahn als erste europäische Zahnradbahn ihren Betrieb aufnahm, begann der Bergbahnbau in der Schweiz zu boomen. Auch für den Bau einer Bahn zur Jungfrau wurden verwegene Ideen entwickelt, utopische Pläne entworfen und verschiedene Konzessionsgesuche eingereicht. Doch zunächst fehlten zur Ausführung die technischen und finanziellen Mittel. Zudem musste gemäss behördlicher Auflage der Nachweis erbracht werden, dass für Bauarbeiter und Passagiere in dieser grossen Höhe keine gesundheitlichen Schäden drohen würden.
1893: Vision, Planung und Konzession
In seinem Taschenbuch skizzierte Adolf Guyer-Zeller die Idee zum Bau der Jungfraubahn. (Klick -> größeres Bild) Am 20. Juni 1893 eröffnete die Wengernalpbahn ihren Betrieb. Zwei Monate später stand der Zürcher Industrielle Adolf Guyer-Zeller während seines Ferienaufenthaltes auf der gegenüberliegenden Talseite und beobachtete, wie die rauchenden Züge die Kleine Scheidegg erklommen. Das Betrachten dieses Schauspiels offenbarte ihm auf einmal die ideale Lösung für den Bau der Jungfraubahn. Sie sollte nicht vom Tal, sondern von der Kleinen Scheidegg ausgehen! In der folgenden Nacht sass Guyer-Zeller im Kurhaus von Matrei über seinem Notizbuch und skizzierte seine Gedanken. Er mass dieser Bleistiftskizze so grosse Bedeutung zu, dass er folgenden Vermerk darauf anbrachte: “11 - 1.30 Uhr nachts, Zimmer Nr. 42, Kurhaus, 27./28. August 1893. G.-Z.” Bereits am 20. Dezember 1893 bewarb er sich um eine Konzession für eine elektrische Zahnradbahn, die an der Bahnstation der Wengernalpbahn auf der Kleinen Scheidegg beginnen und in einem Tunnel durch das Massiv von Eiger und Mönch bis hinauf auf den Gipfel der Jungfrau führen sollte. Um die Finanzierung des ehrgeizigen Projektes sicherzustellen, gründete Guyer-Zeller kurz darauf eine eigene Bank. Ein Jahr später, am 21. Dezember 1894, erteilte der Bundesrat die Konzession, zunächst allerdings noch mit Vorbehalten verbunden.
1896: Baubeginn
Kleine Scheidegg mit Eiger und Mönch. Ansicht von 1904. Nach einer ganzen Reihe von aufwendigen Vorarbeiten erfolgte am 27. Juli 1896 der Spatenstich zum Bau der Jungfraubahn. Das Gelände zwischen Kleiner Scheidegg und Eigergletscher glich während der Bauzeit einem Heerlager. Hunderte von Arbeitern trotzten dem Berg in mühsamer Handarbeit die Bahntrasse ab. Am 19. September 1898 konnte der Betrieb auf der im freien Gelände verlaufenden Strecke vom Bahnhof Kleine Scheidegg bis zur Station Eigergletscher am Fusse des Eigers eröffnet werden. Zur Einweihung hielt der Grindelwalder Gletscherpfarrer Gottfried Strasser eine ergreifende Bergpredigt.
1898: Jedes Jahr eine Station mehr
Die Station Eigergletscher wurde 1898 eröffnet. Station Eigerwand mit Restauration in Betrieb ab 1903. Guyer-Zellers genialer Plan sah vor, jedes Jahr eine weitere Station zu erreichen und so schnell wie möglich einzurichten. Dieses Vorgehen gestattete ihm, den Bau etappenweise zu finanzieren und durch den Bahnbetrieb gleichzeitig Einnahmen zu erzielen. Im Innern des Berges ging die Arbeit zügig voran. Den ersten Rückschlag brachte jedoch der 26. Februar 1899: Ein Unfall beim Sprengen kostete sechs italienischen Arbeitern das Leben. Trotzdem erfolgte kurz darauf der Durchstich bei der Station Rotstock. Kaum einen Monat später trat der grösste Schicksalsschlag in der Bauphase ein, als Adolf Guyer-Zeller am 3. April 1899, knapp 60-jährig, in Zürich einer Lungenentzündung erlag. Nun mussten seine Erben den Bau fortführen. Zwar wurde die Station Rotstock ab 2. August 1899 bedient, doch der Vortrieb am Tunnel blieb vorübergehend eingestellt. Erst vier Jahre später, nach einer schwierigen Zeitspanne mit zwei Streiks, einem Wechsel in der Bauleitung und einer Explosion in einem Dynamitlager, die zwei Tote forderte, konnte am 28. Juni 1903 der Betrieb bis zur Station Eigerwand eingeweiht werden. Von nun an durften die Reisenden den abenteuerlichen Ausblick über dem Abgrund mitten aus der Eigernordwand geniessen.
1905: Eismeer als vorläufige Endstation
Eismeer war von 1905 bis 1912 Endstation und touristisches Zentrum der Jungfraubahn. Zwei Jahre später, am 28. Juli 1905, wurde die Strecke bis zur Haltestelle Eismeer auf 3160 Metern über Meer in Betrieb genommen, und den Gästen eröffnete sich eine wunderbare Aussicht auf die bizarre Gletscherwelt. An der Station Eismeer befand sich das vorläufige Touristenzentrum der Bahn, bis das zusätzlich benötigte Geld für den Weiterbau bereitstand. Aufgrund der knapp gewordenen Finanzmittel und des Todes von Adolf Guyer-Zeller wurden die ursprünglichen Pläne abgeändert. Statt unter dem Mönchsjoch eine Haltestelle einzuplanen und die Bahn bis zum Gipfel der Jungfrau zu führen, wurde das Jungfraujoch als Endstation bestimmt. Es dauerte ein Jahr, bis die notwendigen Mittel bereitstanden. Und auch dann ging es nur langsam voran. Der Fels leistete Widerstand, im Sommer nahm sich der Gewinn bringende Personenverkehr den Vortritt und im Winter versiegte zeitweise das Wasser, mit dem im Tal der Strom für die Bahn und die Maschinen erzeugt werden musste.
1908: Streik und Unglück
Die harten Bedingungen auf dieser höchsten Baustelle Europas zehrten an den Kräften der Arbeiter. Spannungen und Opposition gegen das Unternehmen entwickelten sich, was sich schliesslich am 3./4. September 1908 in einen Streik steigerte. Dann ereignete sich erneut ein schweres Unglück. Im nahe der Station gelegenen Sprengstofflager explodierten am 15. November desselben Jahres auf ungeklärte Weise 30 Tonnen Dynamit. Die Detonation soll bis nach Deutschland zu hören gewesen sein. Glücklicherweise blieb es dieses Mal jedoch bei Sachschaden.
1912: Jungfraujoch-Top of Europe
Jungfraujoch - Top of Europe Das Haus über den Wolken wurde 1924 eröffnet. Neun Jahre später als ursprünglich geplant, am 21. Februar 1912, gelang endlich der Durchschlag bei der Endstation Jungfraujoch. Eine überwältigende Szenerie breitete sich vor den Augen der Arbeiter aus: strahlender Sonnenschein, der tiefblaue Himmel und ein unbeschreiblicher Fernblick über den Grossen Aletschgletscher und über die Gipfel rundum. Als Europas heute noch höchstgelegener Bahnhof am 1. August 1912 auf 3454 Metern über Meer eröffnet wurde, waren statt der erwarteten sieben ganze 16 Jahre vergangen. Der Jungfraugipfel blieb aus mancherlei Gründen unerreicht. Der Erste Weltkrieg und die folgenden Krisenjahre brachten andere Sorgen, zudem standen unüberwindbare finanzielle Hürden im Weg, und schliesslich bot der Berggipfel nicht genügend Platz, um darauf eine hinreichend grosse Anlage für Tausende von Besuchern zu bauen. So wurde die letzte Etappe von Guyer-Zellers Plänen nie verwirklicht.
Der Erbauer der Jungfraubahn
Adolf Guyer-Zeller (1. Mai 1839 - 3. April 1899) Als weitblickender und tatkräftiger Schöpfer der Jungfraubahn ist Adolf Guyer-Zeller in die Geschichte des schweizerischen Verkehrswesens eingegangen. Ein Zeitgenosse beschreibt ihn kritisch: “Voll kühnen Wagemuts trug Guyer-Zeller sich stets mit grossen Plänen... Seine merkwürdig komplexe Natur vereinigte kalte Rücksichtslosigkeit, wo es seinen Willen und seine Ziele durchzusetzen galt, mit einem kinderweichen Gemüt und tiefreligiösen Bedürfnissen.” S. Zurlinden Er galt als Abenteurer und Künstlernatur gleichzeitig. Adolf Guyer-Zeller war Textilfachmann, hatte die Welt bereist und die väterliche Spinnerei erfolgreich ausgebaut. Zweimal gehörte er als liberaler Politiker dem Zürcher Kantonsrat an. Er investierte damals in spekulative Eisenbahnaktien und verdiente an der Gotthardbahn wie auch bei der Nordostbahn, in deren Verwaltungsrat er im Jahre 1892 Einsitz nahm. Im Jahre 1894 erteilte ihm die Bundesversammlung die Konzession für den Bau der Jungfraubahn. Sie ist zweifellos der Höhepunkt im Leben dieser vom Fortschritt der Technik überzeugten Persönlichkeit. Sie führt noch heute Tausende an die Schönheiten des Hochgebirges heran und eröffnet der Wissenschaft nach wie vor einzigartige Perspektiven.
Elektrizität
Als der Bau der Jungfraubahn geplant wurde, steckte die elektrisch betriebene Zugförderung noch in den Kinderschuhen. Erste Versuche fanden auf der Strasse statt. Im Jahre 1888 fuhr die erste Tram. Dennoch setzten die Erbauer der Jungfraubahn von Anfang an auf Strom. Vier Gründe waren ausschlaggebend: - Billiges Wasser stand in grossen Mengen zur Verfügung - Das leichte Gewicht der Maschinen war auf der steilen Strecke von Vorteil - Dampfbetrieb im Jungfraubahn-Tunnel wäre unmöglich gewesen - Reisen ohne Rauch erhöhte den Komfort
Strom wurde und wird in allen Phasen des Baus und des Betriebs eingesetzt. Strom diente: - Für den Antrieb der Bohrer, für die Belüftung und Beleuchtung des Tunnels - Zum Kochen und zum Heizen der Unterkünfte - Zum Schneeschmelzen für das Gewinnen von Trinkwasser
Die Jungfraubahn produziert ihren Strom seit Beginn der Arbeiten am Tunnel selber. Das Kraftwerk Lauterbrunnen nahm den Betrieb im Tal auf, als oben am Berg die erste Betriebsstrecke von der Kleinen Scheidegg zum Eigergletscher eröffnet wurde. Später kam - im Verbund mit anderen Bahnen - das Kraftwerk Burglauenen dazu. Seit 1923 wird das Netz im Verbund mit den Bernischen Kraftwerken betrieben. Heute sind die Triebwagen selber noch kleine Kraftwerke. Die Bremsenergie wird in Strom umgesetzt und in die Fahrleitung zurückgegeben. Drei Züge auf Talfahrt ziehen so einen vierten den Berg hoch. Die gesamte Energieeinsparung beträgt total etwa 15 bis 20%.
Bauarbeiten und Bauarbeiter
Die Bauarbeiten für die Jungfraubahn waren auf sieben Jahre, die Kosten auf 10 Mio. Schweizer Franken veranschlagt worden. Nach 16 Jahren und rund 15 Mio. Franken Aufwand war das Jungfraujoch erreicht. Hier war Endstation. Extreme Umweltbedingungen, technische Probleme und Versorgungsengpässe hatten die Bauzeit in die Länge und die Kosten in die Höhe gezogen. Die Strecke Jungfraujoch-Jungfrau bestand und besteht nur mehr aus Plänen. Basislager für die Arbeiter war eine Niederlassung am Nordrand des Eigergletschers. Bis zu 300 Personen lebten zeitweilig in den Häusern und Baracken. Für die Arbeiter war umfassend gesorgt. Im Winter war die Siedlung <Eigergletscher> von der Umwelt abgeschnitten. Für diese Zeit mussten die Vorräte im Herbst herangeschafft werden. Für den Winter waren dies: - 12 t Mehl - 15 hl Wein (pro Tag und Arbeiter fast ein Liter) - 2 t Kartoffeln (für die Schweizer) - 800 kg Makkaroni (für die Italiener) - 3000 Eier - 400 kg Kaffee - 50 000 Zigarren - 4 t Fleisch - 30 t Kohle zum Backen und für die Werkzeugschmiede
Die verderblichen Waren wurden in Spalten des Eigergletschers eingelagert.
Bilder und Texte aus: Flyer “Zwischen Himmel und Erde” Jungfrau Magazin Edition 2011/12, 27. Jahrgang © Herausgeber: Jungfraubahnen, Harderstrasse 14, CH-3800 Interlaken, Schweiz
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